27 Apr Gedanken am 27.4.2020 – Leben und Lebensqualität
Um das Leben zu retten, ist kein Preis zu hoch. Oder?
Manche Personen entscheiden bewusst, sie wollen natürlich sterben, wollen nicht ärztlich reanimiert werden, oder einen Ventilator bekommen. Sie wollen lieber in Ruhe sterben dürfen, als durch endlose lebenserhaltende Maßnahmen und unter Umständen noch mit großen Leiden am Leben bleiben. Auch meine Großmutter hatte so eine Patientenverfügung .
Der Preis kann als doch so hoch sein, das eigene Leben zu bewahren, wenn die Lebensqualität so sehr darunter leiden würde. (Sterbewunsch und Sterbehilfe ist ein anderes Kapitel, auf das ich hier nicht eingehe möchte, wo jemand schon durch eine Krankheit oder schlimme Erfahrung so sehr leidet, dass er oder sie durch Sterben vom Leid erlöst werden will)
Könnte das auch manche aktuelle Fälle betreffen? Derzeit befinden sich viele ältere Menschen in freiwillig gewählter, familiär und gesellschaftlich aufgedruckte oder gar gezwungene Isolation (in Pflegeheimen oder Krankenhäuser), wo sie nicht einmal ihre Familie treffen (dürfen). Im letzteren Fall kann ihnen sogar bei bevorstehendem Tod die Verabschiedung von ihrer Familie verwehrt werden.
Die Situation in den Pflegeheimen und Krankenhäuser ist nicht einfach, jedenfalls solange sie nicht ausreichende Tests haben um täglich alles Personal und ggf. auch alle gepflegte Personen zu testen.
Die Situation bei der freiwilligen Isolation ist etwas einfacher. Solange es die Gesamtsituation nicht erfordert, dass jede einzelne Person sich von allen Kontakten zurück hält, geht es vor allem um die Abwägung des Risikos, das mit der Wichtigkeit des Kontakts mit geliebten Personen abbewogen werden muss.
Die Rechnung spricht wohl in manchen Fällen dafür, dass ältere Personen nicht unbedingt auf Besuch warten müssten oder sollten bis alles vorbei ist — sechs, zwölf, achtzehn Monate. In vielen Fällen wird das Risiko viel höher sein, in diesen Monaten unerwartet und in dieser Isolation zu sterben, als durch einen Besuch am Coronavirus infiziert zu werden und daran zu sterben. Lohnt das sich?
(Wer sich für eine sehr grobe Risikoberechnung interessiert: es sind 3000 aktiv bestätigte Fälle, inklusiv Dunkelziffer am wahrscheinlichsten um die 9,000. Bei knapp 9,000,000 Einwohner in Österreich macht das 1 pro 1000 Personen infiziert. Wenn eine ältere Personen einmal von einem oder zwei Familienmitgliedern besucht wird, liegt die Wahrscheinlichkeit, angesteckt zu werden ebenfalls in dieser Rahmenordnung. Im Falle einer Ansteckung, wäre das Risiko zwischen 5% und 20%, je nach Alter und Vorerkrankungen, zu sterben. Ansteckungsbedingtes Sterberisiko also von ca. 0,01%. Die Wahrscheinlichkeit, altersbedingt im nächsten Monat zu sterben, wird nach Alter und Gesundheit zwischen ca. 0,1% und 1% aufwärts variieren, liegt jedenfalls um ein vielfaches höher)
Heinz Hödl
Posted at 19:10h, 27 AprilLieber Joseph,
ja das sind wirklich überlegenswerte Gedanken. Vor allem sollte man stärker über die Frage wie die Aussichten auf Heilung sind, nachdenken. Was ist mit der Palliativen Therapie? Schon der Soziologe Norbert Elias hat 1979 über die Einsamkeit der Sterbenden geschrieben. Nun während der Corona-Pandemie ist die Einsamkeit der Sterbenden grenzenlos. Schon bisher wurde das Sterben hinter den Kulissen geschoben, man redet nicht darüber.
Wie trifft die Frage, die sich Menschen mit einer Patientenverfügung stellen auf Corona-Sterbende zu? Wann ist von kurativer auf palliative Therapie umzustellen? Dies ist eine Frage der Gratwanderung von Untertherapierung und Übertherapierung. Wir müssen auch Fragen, haben wir genügend Kapazitäten, um sicherzustellen, dass alle Patienten eine optimale Palliativversorgung bekommen. So wie vor Corona gestorben wurde und nach Corona gestorben werden wird, wird auch mit Corona gestorben. Auch dabei braucht es eine optimale Sterbekultur. In der Hospizbewergung spricht man von „low tech und high touch“. Schmerzen, Angst und Atemnot kann man auch durch palliative Versorgung lindern.